Deutschland: Ukrainische Flüchtlinge zurück an die Front?

    Dilemma für Bundesregierung:Ukrainische Flüchtlinge an die Front?

    Andreas Kynast
    von Andreas Kynast
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    Mit gutem Zureden, aber auch Zwang versucht die ukrainische Regierung, wehrpflichtige Männer zur Rückkehr aus Deutschland zu bewegen. Die Bundesregierung steht vor einem Dilemma.

    Ukrainische Soldaten der 148. separaten Artilleriebrigade in der Region Donezk
    Die ukrainische Armee braucht dringend Soldaten. (Symbolbild)
    Quelle: AP

    Dass das ukrainische Militär ein Problem hat, gibt Oleksij Beschewets, unumwunden zu: "Unsere größte Herausforderung ist Vertrauen", sagt Beschewets, der im ukrainischen Verteidigungsministerium für die Rekrutierung zuständig ist.

    Zu Beginn der Vollinvasion gab es Warteschlangen, um sich dem Militär anzuschließen, aber irgendwann ist das Vertrauen verloren gegangen. Jetzt ist unsere Aufgabe, es wiederherzustellen.

    Oleksij Beschewets, Rekrutierer des ukrainischen Verteidigungsministeriums

    Die ukrainische Armee braucht dringend neue Soldaten. Nicht nur an der Front, sondern auch für die Ausbildung, die Versorgung oder den Sanitätsdienst. So groß sind die Lücken, dass sich die Hoffnungen der Regierung, aber auch großer Teile der ukrainischen Öffentlichkeit, zunehmend auf jene wehrpflichtigen Männer richten, die in den Nachbarstaaten Zuflucht gefunden haben. Und auf die Regierungen dieser Länder.
    Russia Ukraine War
    In ihrem Verteidigungskampf gegen Russland fehlt es der Ukraine an Waffen, Munition - und Soldaten.03.05.2024 | 2:52 min

    Botschaften stellen keine Pässe mehr aus

    Mitte April hat das Parlament in Kiew beschlossen, dass in den Auslandsvertretungen keine Pässe mehr an männliche Ukrainer im Alter zwischen 18 und 60 Jahren ausgegeben werden. Damit bleibt dienstpflichtigen Männern, deren Papiere ablaufen, nur noch ein Weg: in die Ukraine.
    Weil sie dort gemustert und einberufen werden könnten, fordern Kriegsdienstverweigerer-Organisationen wie Connection e.V., dass die Bundesregierung den Betroffenen Ersatzpapiere ausstellt und ihnen so die Reise erspart:

    Kriegsdienstverweigerung ist ein Menschenrecht, auch im Falle eines Krieges.

    Rudi Friedrich, Connection e.V.

    Die Bundesregierung steht vor einem Dilemma. Einerseits ist die Bereitschaft gering, Menschen, die in Deutschland Schutz gesucht haben, in den Krieg zu zwingen. Auf der anderen Seite werden Zweifel laut, ob es Berlin zusteht, in einem Streit Entscheidungen zu treffen, den die ukrainische Gesellschaft erst noch austragen muss - und bei dem es neben der Lage an der Front auch um Gerechtigkeit gegenüber den im Land Gebliebenen geht.
    Rauch am Himmel nach Beschuss in Tschassiw Jar in der Region Donezk.
    Die Situation in der Ukraine spitzt sich zu. Noch immer mangelt es an Soldaten und Munition.03.05.2024 | 1:50 min

    Ampel-Politiker uneinig

    "Die Mobilisierung der Wehrpflichtigen liegt primär in der Verantwortung der Ukraine", erklärt der Verteidigungspolitiker der FDP, Marcus Faber, gegenüber ZDFheute. Die deutsche Unterstützung konzentriere sich darauf, die ukrainischen Streitkräfte durch Ausbildung und Ausrüstung zu stärken.

    Das ist motivierend, als Soldat in gut ausgerüsteten Streitkräften zu dienen.

    Marcus Faber, Verteidigungspolitiker der FDP

    Während Faber empfiehlt, nur tätig zu werden, wenn eine Anfrage der Ukraine vorliegt, fordern die Grünen, die Betroffenen aktiv zu schützen. "Die Ausstellung von Ersatzdokumenten für ukrainische Wehrpflichtige, deren Pass abgelaufen ist, ist sinnvoll", sagt Deborah Düring, die außenpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, ZDFheute. Das würde es ukrainischen Geflüchteten ermöglichen, ihr Recht auf Dienstverweigerung wahrzunehmen.

    Jede Maßnahme die geeignet ist, dieses Recht zu untergraben, halte ich für falsch.

    Deborah Düring, Grüne

    Forderungen, ukrainische Wehrpflichtige zur Heimkehr zu bewegen, kommen vor allem aus der (CDU). So befürwortete Hessens Innenminister Roman Poseck in der ARD, "daran mitzuwirken", dass die Ukraine auf ins Ausland geflohene Männer "zurückgreifen" kann. Der CDU-Verteidigungspolitiker Roderich Kiesewetter regte im Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) an, für Betroffene die Zahlung des Bürgergeldes auszusetzen.

    Russland bereitet Einberufungswelle vor

    Hintergrund der ukrainischen Entscheidungen dürften auch die erheblichen Anstrengungen sein, die Russland unternimmt, um Wehrdienstpflichtige leichter und in größerer Zahl einzuberufen. Bis November will das russische Militär ein einheitliches Register aller Männer erstellen, die als dienstpflichtig gelten.
    Russischer Militär-Pass
    Nach der von Putin verkündeten Teilmobilisierung im September 2022 haben rund 150.000 junge Männer aus Angst vor der Einberufung Russland fluchtartig verlassen.14.02.2023 | 9:01 min
    Einberufungsbescheide sollen dann nur noch elektronisch versandt werden und automatisch als zugestellt gelten. Außerdem sollen Ausreiseverbote russische Männer davon abhalten, das Land zu verlassen.  
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    Seit Februar 2022 führt Russland einen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Kiew hat eine Gegenoffensive gestartet, die Kämpfe dauern an. News und Hintergründe im Ticker.
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