Experte: Bedrohung von Journalisten zuletzt "enorm gestiegen"

    Interview

    Pressefreiheit in Deutschland:Experte: Bedrohung zuletzt "enorm gestiegen"

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    Die Zahl der Angriffe auf Journalisten ist in Deutschland - laut Studie - seit Corona gestiegen. Die meisten Attacken gab es in Sachsen. Experte Peltz erklärt, wie es dazu kommt.

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    Die Zahl der physischen Angriffe auf Journalist*innen in Deutschland ist seit Ausbruch der Corona-Pandemie 2020 enorm gestiegen. Das hat das Europäische Zentrum für Medien- und Pressefreiheit (ECPMF) festgestellt. Patrick Peltz ist Co-Autor der jährlichen Studie "Feindbild-Journalist:in" der Organisation und erklärt zum heutigen "Tag der Pressefreiheit" die Hintergründe.
    ZDFheute: Wie steht es um die Pressefreiheit in Deutschland?
    Patrick Peltz: In der Analyse von physischen Angriffen auf Journalist*innen müssen wir leider feststellen, dass die Bedrohungslage in den letzten vier Jahren enorm gestiegen ist und wir seit 2020 ein hohes Niveau an Angriffen auf Journalisten haben. Insbesondere Demonstrationen von Bewegungen der extremen Rechten, verschwörungsideologische Gruppierungen und pro-palästinensische Demonstrationen stellten im vergangenen Jahr ein erhöhtes Risiko für Journalist*innen dar.
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    ZDFheute: Was waren weitere Erkenntnisse Ihrer Studie?
    Patrick Peltz: Für unsere Studie haben wir auch öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten nach ihrer Wahrnehmung der Bedrohungslage befragt. Gerade beim Thema Hasskommentare scheint sich ein hohes Niveau zu normalisieren.

    Wer als Journalist:in zu Themen schreibt, die gesellschaftliche Konfliktlinien berühren, muss im Prinzip damit rechnen, angefeindet zu werden.

    Außerdem berichten Journalist*innen uns, dass sie teilweise sehr genau abwägen, ob sie eine Strafanzeige stellen, wenn sie angegriffen wurden. Eine mögliche Strafverfolgung und das zu erwartende Strafmaß stehen häufig nicht im Verhältnis zu dem Risiko, das eine Anzeige für die Journalist*innen bedeuten kann.
    Deutschland hat sich zwar im internationalen Ranking von Platz 21 auf 10 - aber wohl nur, weil andere Länder sich verschlechtert haben. Sehen Sie hier das Ranking und finden Sie darunter die Grafiken:.
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    Durch die Akteneinsicht der Beschuldigten könnten intime Details, wie die Privatadresse, nach außen dringen. Gerade wenn man es mit gefährlichen Akteur:innen und Bewegungen zu tun habe, müsse man dann damit rechnen, dass die eigene Wohnung zum Ziel von Angriffen werde.
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    ZDFheute: Gibt es Regionen in Deutschland, in denen Sie die Pressefreiheit als eingeschränkt betrachten?
    Patrick Peltz: Aufgrund der hohen Zahl von Angriffen haben wir Sachsen genauer unter die Lupe genommen. Das hohe Aufkommen führen wir neben anderen Faktoren auf die in Sachsen an vielen Orten sehr dominante extreme Rechte und andere verschwörungsideologische Akteur*innen zurück.

    Patrick Peltz, ECPMF, Pressefreiheit
    Quelle: privat

    Patrick Peltz promoviert in vergleichender Politikwissenschaft an der Universität Hamburg und ist seit November 2023 Forscher am Europäischen Zentrum für Medien- und Pressefreiheit.

    Dort ist man mit vielen Menschen konfrontiert, die "den Medien" tendenziell eher ablehnend gegenüberstehen. Journalist*innen berichten davon, dass sie aufgrund des Risikos und des erhöhten Aufwands teilweise von einer Berichterstattung absehen. Zudem wird eine solche Berichterstattung sehr stark von freien Journalist*innen geleistet, die nach Angriffen auf sie häufig keine Unterstützung erhalten.
    Noch schwieriger kann sich die Situation für LokalJournalist*innen an diesen Orten darstellen. In diesem Zusammenhang beobachten wir Selbstzensur.

    Wenn Lokaljournalist:innen aus Angst vor Drohungen oder Angriffen Themen aussparen, kann man an diesen Orten nicht von einer bestehenden Pressefreiheit sprechen.

    Das Europäische Zentrum für Medien- und Pressefreiheit (ECPMF) wurde als Nichtregierungsorganisation (NGO) in Leipzig 2015 gegründet. Die Organisation hat sich zum Ziel gesetzt Pressefreiheit und freie Meinungsäußerung zu fördern und zu verteidigen.

    Seit ihrer Gründung analysiert die Organisation Angriffe auf Medienschaffende in Europa und sammelt diese auf ihrer Webseite. Die Organisation wird unter anderem von der EU-Kommission, dem Freistaat Sachsen und dem Auswärtigen Amt der Bundesregierung gefördert.

    Quelle: ECPMF

    ZDFheute: Wie lautet Ihre Prognose für die Zukunft?
    Patrick Peltz: Aus der Mainzer Langzeitstudie zum Thema wissen wir, dass das Medienvertrauen vor allem bei Personen gering ist, die mit der Demokratie unzufrieden sind. Hier verorten wir auch Personen mit medienfeindlichen Einstellungen, die sich letztlich auch in einem verhaltensbezogenen Aspekt, nämlich Angriffen auf Journalist*innen, niederschlagen.
    In den Befragungswellen zeigt sich, dass dieser Anteil, etwa ein Fünftel, über die Jahre stabil geblieben ist. Wir haben also die These, dass in diesem Bereich eher eine Radikalisierung stattgefunden hat. Es gibt also keine einfachen Hebel, die diese Entwicklungen einfach umkehren würden.

    Meine Vermutung ist eher, dass die Pressefreiheit weiter unter Druck geraten wird.

    Vielmehr wird man auch in Zukunft auf diese neuen Bedingungen reagieren müssen. Dies geschieht bereits. Das bedeutet einen besseren Schutz der Medienschaffenden durch ihre Arbeitgeber und durch die Polizei und einer besseren Ausbildung im Umgang mit Medienschaffenden. Niedrigschwellige Angebote für Journalist*innen sind wichtig, um eine veränderte Berichterstattung oder Selbstzensur zu verhindern.
    Das Interview führte ZDFheute-Redakteur Benno Krieger.

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